Olga Chernysheva (Jg. 1962 in Moskau) verhandelt »Gesellschaft« und »System« nicht als abstrakte Konstruktionen, sondern ausgehend vom Individuum, um zu zeigen, wie die kleinste Entität das sozial-politische Gefüge trägt und bestimmt respektive davon getragen und bestimmt ist. Wartende Gastarbeiter, fliegende Händler, eifrige Marktfrauen, in Pelz gehüllte Damen - die von Empathie getragene Beobachtungsgabe der Künstlerin spiegelt sich auch in der Bandbreite ihrer Ausdrucksformen: Von Film und Fotografie über Malerei und Aquarell bis zu Zeichnung dient das jeweilige Medium der nuancierten Darstellung ihrer komplexen Sujets und verdeutlicht die Bildwürdigkeit »kleiner Leute« vor dem Hintergrund größerer Umwälzungen. Anders als die Malerei des russischen Realismus im 19. Jahrhundert oder der frühe sowjetische Film erhebt Chernysheva keine sozialkritische Anklage; auch medienspezifisches Experimentieren ist ihr fremd. (Text dt., engl.)